Die Brüder Lionel und Demian Martin sorgten für kammermusikalisches Glanzlicht bei den Klassischen Konzerten
Dass Meister nicht irgendwie vom Himmel fallen, ist eine Binsenweisheit. Obwohl - bei manchen Musikern kommt man da schon ins Grübeln: So wie bei den beiden jungen Herren, die vor einigen Tagen bei den Klassischen Konzerten für ein furioses Kammermusik-Erlebnis sorgten. Die Brüder Lionel und Demian Martin (*2003 bzw. 1998) sind nicht nur vollendete Solisten, sondern spielen auch als Duo definitiv in einer eigenen Liga. Sie musizieren im Unterschied zu fast allen anderen Kammermusikensembles ohne Noten und verschmelzen so zu einer innigen Zweisamkeit, die auch erfahrene Konzertbesucher wie die der Mosbacher Konzertgemeinde in helles Verzücken versetzen kann. Cellist Lionel ist als „SWR New Talent“ und Stipendiat der Anne Sophie Mutter Stiftung in der ganzen Welt unterwegs, Demian komponiert inzwischen neben seinen Engagements als Pianist professionell Filmmusik und befasst sich mit Sounddesign. Ganz soviel Zeit, um miteinander zu musizieren haben die Brüder also nicht mehr so wie früher in der Familie. Und doch scheint es, als sei ihnen der brüderliche Dialog am Instrument ebenso natürlich wie Sprechen - oder Improvisieren, was sie gerne und ausgiebig tun in ihren Konzerten. Aber dazu später mehr.
Die Martin-Brüder sind bekannt für mutige Programme mit viel zeitgenössischer Musik, die sie mit der gleichen traumwandlerischen Selbstverständlichkeit auswendig auf die Bühne bringen wie die klassischen oder romantischen Stücke ihres ziemlich einzigartigen Repertoires. Als Zuhörer fragt man sich fasziniert, wie das überhaupt möglich ist bei diesen oft doch ziemlich abstrakten Werken, aber die zwei machen im Gespräch gar kein großes Ding daraus. Echte Ausnahmetalente eben – und noch dazu ganz bescheiden! Auch an diesem Abend hatten sie mit der 1. Cellosonate von Alfred Schnittke (1934-1998) ein modernes Werk im Gepäck, das nicht so ganz leicht zum Anhören ist. Aber das Publikum bei den „Klassischen Konzerten“ erwies sich erneut als sehr offen und interessiert an neuerer Musik und feierte die beiden mit ehrlichem Enthusiasmus. Das von Lionel Martin in seiner Moderation angekündigte „Inferno“ wurde also eher zu einem aufregenden Ritt, fasziniert folgten die Zuhörer seinem virtuosen Pepetuum mobile im Mittelsatz, das zuweilen wie Filmmusik aus „Metropolis“ wirkte. Ein beeindruckender Kraftakt, den der junge Cellist allerdings genauso locker und mühelos aussehen ließ wie die hochintensive späte Beethovensonate, mit der die beiden zuvor ihr Programm begonnen hatten.
Die Sonate C-Dur op. 102/1 als eine seine letzten Cellosonaten 1815, zwölf Jahre vor seinem Tod, als Beethovens bereits längst ertaubt war. Wie auch in seinen späten Streichquartetten klingt darin eine gewisse Jenseitigkeit an, strenge Formen erscheinen aufgelöst. Hier konnte Lionel Martin seinen wirklich exzeptionellen Klangfarbenreichtum ausspielen, vom fast gehauchten Pianissimo bis zu einem kraftvoll perkussiven Forte. Mit meist geschlossenen Augen, immer mit einem Ohr bei seinem Bruder scheint er beim Musizieren förmlich mit seinem Cello zu verschmelzen. Und da kein Notenpult zwischen ihm und seinen Zuhörern steht, kann man ihm auf seiner spannenden Reise durch die Musik ganz unmittelbar folgen – und ist doch immer wieder überrascht, was da an musikalischen Einfällen kommt. Natürlich auch bei Demian Martin, der diese außergewöhnliche Intensität am Flügel einfühlsam aufgreift und mitträgt. Auf speziellen Wunsch von Initiator Christof Roos hatten die beiden auch Musik von der kroatischen Komponistin Dora Pejačević (1885-1923) mitgebracht und zwei ihrer Lieder für sich arrangiert, bei denen die feine Sanglichkeit des Celloklangs wunderschön zur Geltung kam.
Danach sorgte César Francks berühmte Violinsonate in A, hier einmal mit Cello gespielt, für hörbare Begeisterung und stehende Ovationen. Im Zugabenblock demonstrierte die Brüder dann das, was sie in der Klassikszene einzigartig macht: Spontan improvisierten sie gekonnt über vom Publikum vorgeschlagene Motive wie Ravels „Bolero“, die „Habanera“ aus Carmen, Mozarts „Nachtmusik“ und das Kinderlied „Au clair de la lune“. Ganz und gar spektakulär war das - und das künstlerische i-Tüpfelchen zu einem außergewöhnlichen Kammermusikabend in der Mälzerei!