Marie und Christoph Dingler sind mit hinreißender Abenteuerlust als „Twiolins“ unterwegs – Zu Gast bei der Konzertgemeinde
Sie sind in der Kammermusiklandschaft ein Unikat: Die „Twiolins“ sind das einzige Violinduo, das in dieser Besetzung ständig professionell unterwegs ist. Und dabei sind die Geschwister Christoph und Marie-Luise Dingler so erfolgreich, dass sie das Publikum buchstäblich rund um den Globus mit ihrem einzigartigen Repertoire, ihrem Können und ihrer Ausstrahlung faszinieren. Am Sonntag waren sie im Rahmen der Mosbacher Klassischen Konzerte im Alten Schlachthaus zu hören, wo gerade der Kunstverein Neckar-Odenwald eine neue Ausstellung eröffnet hat.
Die beiden jungen Musiker aus Mannheim treibt schon lange eine besondere Leidenschaft für zeitgenössische Musik an. Das traditionelle Repertoire für zwei Violinen solo gibt bis auf wenige Ausnahmen nicht allzu viel her, also haben sie sich etwas einfallen lassen: Seit 2009 schreiben sie alle drei Jahre einen Wettbewerb aus, den international besetzten „Crossover Composition Award“ CCA, an dem sich vor allem jüngere Komponisten aus der ganzen Welt beteiligen.
Das Besondere dabei ist, dass die „Twiolins“ zwar aus den mittlerweile über 300 eingesandten Wettbewerbsbeiträgen die sechs Finalisten selbst auswählen, das Publikum der anonym ausgetragenen Finalrunde jedoch per Wahlzettel über die Reihenfolge der Preise entscheidet. Dabei entsteht ein nagelneues, gleichermaßen für Musiker wie auch für das Publikum höchst attraktives Repertoire, das energisch frischen Wind in die zeitgenössische Klassikszene sprudelt und eine unglaubliche Bereicherung für die Musik des 21. Jahrhunderts darstellt.
Die Stücke, die das Duo für seinen Auftritt im Alten Schlachthaus ausgesucht hatte, wurden bei den Wettbewerben 2012 und 2015 mit Preisen ausgezeichnet. Stilistisch sind sie irgendwo zwischen Minimal Music und moderner Klassik verortet, gewürzt mit einem Spritzer Folk/Jazz und abgeschmeckt mit einer guten Portion Humor. Es sind alles ganz eigenständige Kompositionen, mal von pulsierenden Rhythmen vorangetrieben, mal getragen von extrem meditativen Melodiebögen. Beides beherrschen die „Twiolins“ zur Perfektion, ihre vertrauensvolle Einigkeit wurzelt in einer langen gemeinsamen Geschichte als Duo. Bereits als Teenager waren die beiden gemeinsam mehrfach 1. Preisträger beim Bundeswettbewerb „Jugend musi-ziert“, und offenbar trägt dieses blinde Verstehen die beiden auch heute als professionelles Ensemble. Ganz große Klasse, was da an Kraft, Spritzigkeit, Ausstrahlung und Frische auf die Zuhörer überging. Keine Notenständer behindern den Kontakt, die Twiolins spielen auswendig und sind in ihren Bewegungen auf der Bühne ganz frei.
Die Akustik im Schlachthaus ließ die zahlreichen Doppelgriffe und mehrstimmigen Passagen in beinahe orchestraler Fülle aufblühen, gestattete aber auch extreme Innigkeit im pianissimo. „Balkanoid“ von dem Ungarn András Derecskei (*1982) – schnell und rhythmisch wie bei Philip Glass, „Doch Laub und Wolken unter Nacht“ von dem Freiburger Johannes Söllner (*1983) – ein wunderbares, zart melancholisches Tongedicht, „A fly’s life and decline“ von Judit Varga (*1976) – ein witziges Mi- nidrama mit Knalleffekt. In „Ich glaub, es gibt Regen“ von Rebecca Czech (*1983) geben eingespielte platschende Regentropfen als Metronom den Takt vor, Benedikt Brydern (*1966), der bereits zweimal den CCA gewann, zeichnete in dem Siegerstück von 2015 „Schillers Nachtflug“ den wilden Ritt eines jungen Dichters nach. Tolle Musik, super Konzept, grandios gespielt – die „Twiolins“ sind eine Entdeckung! Nach der ersten Zugabe „Chasma II“ von Levent Altuntas (*1994) applaudierten die Zuhörer so enthusiastisch, dass Marie und Christoph Dingler noch eine weitere Zugabe folgen ließen und das überaus spannende Programm mit einem fetzigen Folkstück abrundeten. Licht aus, Spot aus – Bravo!