Hille Perl (Viola da Gamba) und Lee Santana (Theorbe) entführten ihre Zuhörer in eine (fast) versunkene Zeit.
Eine Zeitreise der besonderen Art erwartete die über 350 Zuhörer am Donnerstagabend in der Mälzerei, als auf Einladung der Konzertgemeinde zwei der aktuell renommiertesten Musiker aus der Alten Musik zu Gast waren und für einen erfreulichen Besucherrekord sorgten. Die Gambistin Hille Perl und der Lautenist Lee Santana faszinierten mit ihren ungewöhnlichen Instrumentarium und ihrer ansteckenden Musikalität das Publikum mit einer Musik, die so zart und intim, aber auch so überschäumend und lebendig klang, als wäre sie gerade erst in diesem Moment ersonnen worden.
Interessanterweise haben viele der heutigen Lautenisten, so auch Lee Santana, eine Vergan-genheit als Jazzgitarristen. Hille Perl dagegen hat ihre Leidenschaft für die Viola da Gamba bereits als Kind entdeckt und sich schon früh in ihren einzigartigen Klang verliebt. Sie spielt ein wunderschönes altes Instrument von 1686 mit geschnitztem Löwenkopf, das jede Nuance ihres Spiels mitmacht. So leicht sieht das aus bei ihr, wenn der Bogen die sieben Saiten fast liebevoll zum Schwingen bringt, mal ganz zart und silbrig, dann wieder mit hörbarem Ansatz, kräftigem Akkordspiel und blitzschnellen Wechseln von der sonoren Kontrabasslage der tiefs-ten Saite bis zum strahlenden Diskant der höchsten, auf der es häufig auch über die um das Griffbrett geschlungenen Bünde hinaus in die Höhe geht.
Nicht nur die Spieltechnik ist völlig anders als bei den später entstandenen Instrumenten der Geigenfamilie, auch die Musik ist eine völlig andere. Komponisten wie Marin Marais (1656-1728) oder auch sein Lehrer Monsieur de Sainte Colombe (ca 1640-ca 1690) kannten die Be-sonderheiten und Möglichkeiten der Gambe genau und schufen Musik, die uns auch heute noch verblüfft durch ihre Virtuosität, aber vielleicht noch mehr durch ihre unglaubliche emo-tionale Kraft und Tiefe. Hille Perl und Lee Santana stellten unter dem Titel „Variationen über die Natur und die Natur der Variation“ vor allem Stücke dieser beiden Komponisten vor, die virtuose Bearbeitungen bekannter zeitgenössischer Melodien wie „Les Folies“, „Le Bourras-que“ oder „La Vignon“ sind. Ergänzt wurde das Programm durch Solowerke, bei denen unter-schiedliche Lauteninstrumente zum Einsatz kamen.
„Les Cascades“ von Monsieur de Launay (ca 1690), gespielt auf einer 11chörigen Knickhals-laute erwies sich als raffinierte Miniatur, sozusagen ein „Wasserfall im Terrarium“ (O-Ton Lee Santana). In der kühlen Akustik der Mälzerei musste man bei diesem mit Doppelsaiten bespannten Instrument allerdings schon sehr genau hinhören. Besser vermochten sich klang-lich die langhalsige Theorbe (Basslaute), aber auch die einzeln bespannte „kleine“ Theorbe durchzusetzen, mit der Lee Santana in einer Suite von Robert de Visée (ca 1660-1732) die Spieltechnik der barocken Lauteninstrumente eindrucksvoll demonstrierte. Als versierter Im-provisator lässt er sich auch in den Variationssätzen immer wieder Spannendes einfallen, selbst wenn in den Manuskripten jener Zeit maximal die reinen Akkordfolgen notiert wurden. Das Zusammenspiel mit seiner Ehefrau Hille Perl wirkt dadurch aufregend lebendig, es ist zu spüren, dass die innige Verbindung der beiden nicht nur im Leben, sondern auch auf der Büh-ne funktioniert.
Eines der glanzvollsten Stücke jener Zeit, den „Couplets des Folies“, bildete den begeistern-den Schlusspunkt des Abends. Hier steht Marais’ Gambenkunst in voller Blüte, mit irrwitzi-gen Höchstschwierigkeiten, die Hille Perl mit ihrer spektakulären Technik traumhaft sicher bewältigte. Nach diesem letzten Glanzlicht verabschiedete sich das sympathische Musiker-paar mit „O’Carolan’s Dream“, einem melancholischen Stück des blinden irischen Harfenis-ten Turlough O’Carolan, als Zugabe.